Die erste volle Woche
Montag, 9.10.2023
Schon am Montag habe ich kaum Motivation aufzustehen, weil die Woche so voll ist.
Nach dem Wassertreten führt mein Gang zur Ernährungsberatung, um mein Anliegen bzgl. des glutenfreien Brotes mit Milchanteil vorzutragen. Ernst genommen werde ich nicht wirklich. Bisher hätten das alle Patienten mit Laktoseintoleranz vertragen.
Volles Programm
Bei der Atementspannung werden dieses Mal Elemente aus dem Autogenen Training und der Progressiven Muskelrelaxation vereint. Also voll mein Ding. Ich kann daher sehr gut entspannen. Bei der Wirbelsäulengymnastik erhält meine Gruppe ein Lob des Therapeuten für unsere gute Koordination. Scheinbar gibt es hier auch viele Kandidaten, die mehr körperliche oder koordinative Einschränkungen haben. Trotz kleiner Hantel spüre ich Muskelkater vom Fitnesstraining am Vortag.
Es fällt mir nach wie vor schwer, die Druckstrahlmassage zu genießen. Meine Gedanken kreisen…
Verdiente Pause
Die Pause nutze ich zum Lesen. Nach dem Mittagessen setze ich mich mit meiner Tischnachbarin in die Eingangshalle, in der sie mir von den Erfahrungen einer Mitpatientin in der Gruppentherapie berichtet. Während diese ihr Thema vortrug, sei eine andere Dame ihr ständig ins Wort gefallen und habe Witze darüber gemacht. Ihre Ausrede: Sie sei nun einmal der stetige „Klassenclown“!
Wir finden, das geht gar nicht! Und hoffen inständig, dass es uns in unseren Therapiestunden anders ergehen wird. Denn es fällt schon schwer genug, sich vor anderen zu öffnen. Da sollte Wertschätzung und Respekt von Seiten der Mitpatienten selbstverständlich sein.
Die Sache mit der Konzentration
Der Vortrag für Sozialmedizin über das Thema Rente ist für mich noch so weit weg. Vieles war mir bereits bekannt. Und vieles betraf mich nicht. Es fiel mir so schwer, mich zu konzentrieren und ich wurde so müde – wie habe ich das früher nur in der Schule ausgehalten?! Also gab es im Anschluss einen Powernap und etwas Lektüre vor dem nächsten Vortrag über Stress- Körpertherapie. Das ist wieder voll mein Thema und ich schreibe sogar einiges mit.
Abendstunden
Während und nach dem Abendessen haben meine Tischnachbarin und ich eine Menge Gesprächsstoff. Nicht nur über die erlebten Anwendungen. Wir sind uns nicht in allen Punkten einig, respektieren aber die Haltung der anderen.
Dann setze ich um, was ich mir schon lange vornehme: Ein Lied zu schreiben für meinen Papa. Der Refrain kam mir schon zu Hause. Nun darf es vollendet werden.
Ich mache eine Aufnahme und sende sie an meine engsten und vertrautesten Menschen. Dann folgt die übliche Abendroutine.
Dienstag, 10.10.2023
Am Dienstag folgt einem frühen Wassertreten bereits vor dem Frühstück die Atementspannung. Vorher war ich bereits zum Wiegen im Stationszimmer – und habe schon zugenommen! Das liegt bestimmt an der Ernährung hier.Â
Nach der Atementspannung setzt sich die Mitpatientin vom Gitarrenabend neben mich und erzählt mir ihre Geschichte. Sie hat schon einiges mitgemacht. Ein bisschen fühle ich mich davon erschlagen. Auf ihre Nachfrage, ob sie mir zu viel aufgedrängt hat, antworte ich dennoch mit „Nein“.
Die Hochtontherapie ist entspannend. Und doch kreisen meine Gedanken wieder.
Dann folgt meine erste Gruppentherapie-Stunde. Ein Herr von unserer Führung in der 1. Woche ist mit mir neu in die Gruppe gekommen. Der Rest kennt sich schon. Das Thema heute: „Konflikte am Arbeitsplatz“ (Das Thema wird von der Gruppe gemeinsam ausgewählt). Ich hätte viel beizutragen, halte mich aber erst einmal zurück, weil es nicht ganz zu dem Angesprochenen passt.
In der Pause komme ich mit dem Herrn ins Gespräch. Wir sprechen über unsere Jobs, über meinen Hund und meinen Papa. Als er über seinen verstorbenen Papa berichten möchte, ist die Pause zu Ende. Schade, das hätte mich sehr interessiert.
Innerer Konflikt beim Mittagessen
Beim Mittagessen lasse ich mich total runterziehen, nachdem ich mir – wie mit der Diätassistentin besprochen – Kartoffeln, Spinat und Ratatouille geben lasse. Denn plötzlich spricht mich die 2. Küchenkraft an, er habe extra glutenfreie Nudeln für mich gekocht. Ich bin insgeheim ganz froh über die Abwechslung mit den Kartoffeln und muss die Nudeln ablehnen. Wie kann es sein, dass ich mir sofort ein schlechtes Gewissen einreden lasse? Dieses Schuldthema verfolgt mich schon lange.
Weiter geht`s
Im Anschluss bin ich das 1. Mal in der Körpertherapie. Ein Herr übernimmt die Rolle des Spaßvogels. Wir anderen lachen mit oder schmunzeln – obwohl manche seiner Witze schon etwas unter die Gürtellinie zielen. Der Kurs geht 75 Minuten. Und Fühlen kann wirklich anstrengend sein!
Beckenbodengymnastik ist für`s 1. Mal gar nicht so leicht. Bzw. finde ich die Erklärung der Übungen schwierig erklärt. Aber ich komme ganz gut rein.
Freie Zeit - freies Walking
Jetzt ist Zeit für „Freies Walking“ und ich wandere den Philosophenweg hinab. Dann setze ich mich auf der Hälfte des Weges auf eine Bank und zeichne einen Baum nach. Einige Reha-Gäste wandern an mir vorbei. Manche schweigend. Manche grüßend. Manche kommentierend. Während ich dort sitze, habe ich mein Lied unentwegt im Ohr. Â
Wieder oben angekommen lese ich ein Kapitel meines Buchs in einer Liege, bevor es zum Abendessen geht. Heute esse ich mein eigenes Brot mit eigenem Aufstrich.
Im Anschluss unterhalten meine Tischnachbarin und ich uns draußen auf einer Bank mit Blick auf die schöne Landschaft über unsere langjährigen Beziehungen. Was wichtig ist, um sie am Leben zu erhalten und wie man sich selbst findet und nicht verliert. Und wir schmieden Pläne für`s Wochenende.
Mittwoch, 11.10.2023
Heute geht es schon um 7.15 zum Walking. Wir walken einen wunderschönen Panoramaweg entlang. Es ist gerade Sonnenaufgang und der Himmel sieht so wunderschön aus. Wie gerne hätte ich ein Foto gemacht – doch wir müssen weiter. Die Route ist leicht schaffbar. Irgendwann hole ich von ganz hinten bis nach ganz vorne auf. Eine Zeit lausche ich den Gesprächen meiner Mitpatienten, bis mich eine Dame plötzlich anspricht: Sie hätte meine Gitarre bei der Anreise gesehen und fänd es toll, wenn ich unten mal für alle Interessierten spielen würde. Ich entgegne, dass ich bei einem Liederabend gerne dabei wäre.
Zeit für Tränen
Heute steht ein psychotherapeutisches Einzelgespräch an. Wir springen durch verschiedene Themen. Der gemeinsame Nenner ist SCHULD. Mir kommen bald die Tränen. Vor Traurigkeit. Aber auch vor Erleichterung, all das einfach mal aussprechen und benennen zu können. Am Ende lässt der Therapeut die Frage stehen: Warum können Sie nicht loslassen?
Mit der Aussicht, wir könnten uns in der nächsten Stunde damit befassen. Er ahnt ja nicht, was er damit in mir auslöst! Ich auch noch nicht!
Thema in der Gruppentherapie-Stunde ist heute „Die Zeit nach der Reha“. Noch weit weg für mich – aber dennoch interessant, mitzuhören, welche Ziele, Pläne und Ängste die Mitpatienten kurz vor der Abreise haben.
Zeit für Genuss
Nach dem Mittagessen findet das Genusstraining statt. Sehr interessant, wie bewusst man die verschiedenen Sinne täglich einsetzen kann. Viele Übungen waren mir jedoch bereits bekannt, da ich mich selbst viel mit Achtsamkeit beschäftige.
Zeit für Sorgen
Für den Vortrag zur Rückenprävention muss ich mich beeilen. Meine Tischnachbarin sitzt bereits mit weiteren Mitpatienten dort und hat mit ihrem Turnbeutel eine Stuhl freigehalten. Ich fasse mir ein Herz und frage, ob sie den Platz für mich freigehalten hat. Als sie nicht mit „JA“ antwortet, sondern mit „Zum Beispiel“ verunsichert mich das. Was so eine banale Antwort in mir auslösen kann.
Ich frage mich „Habe ich mich aufgedrängt?“ – „Hätte sie lieber nur mit den beiden Frauen dort gesessen?“ – „Möchte sie ihre Ruhe vor mir?“
Ich reflektiere später die Situation: Da wiederholt sich ein Muster – und eine Urangst kommt hoch!
Nicht das 1. Mal würde eine Bekanntschaft mich „uncool“ finden und sich lieber mit „lässigeren“ Menschen abgeben als mit mir. Der Trigger dabei: Meine Urangst, abgelehnt oder ausgestoßen zu werden. Spannend, was für Erkenntnisse sich hier auch außerhalb der Anwendungen zeigen.
Nach dem Vortrag kommt eine weitere Angst hoch: Die Angst, es könnte schon zu spät sein, etwas für meine körperliche Fitness zu tun, da meine Halswirbelsäule schon so geschädigt zu sein scheint wie in dem Beispiel der Therapeutin, in dem sie vor schweren Folgen warnt.
Zeit für Panorama
Ich laufe in der Pause zum Panoramaweg und genieße die Aussicht. Zudem versuche ich mich an ein paar Panoramafotos. Dann lege ich mich vor dem Schwimmbad auf eine Liege und telefoniere mit meiner Schwester, die mich angerufen hatte. Ich erzähle ihr von meiner 1. Woche.
Zeit für Reflexion
Ich nehme mir die Zeit und schreibe eine Mindmap zu meinen Ängsten und Sorgen, die in der letzten Zeit hochgekommen sind. Und eine 2. Mindmap zu meinen Wünsche und Zielen für die kommenden Wochen. Es ist mir wichtig, beides gegenüberzustellen.
Meine Tischnachbarin ermutigt mich dazu, den Arzt nach Physiotherapie zu fragne, nachdem ich auch ihr von meinen Sorgen berichte. Ich lasse mir gleich einen Termin für den nächsten Tag geben.
Zeit für Meditation
Heute steht ein Meditationsabend mit der Pfarrerin an, der freiwillig besucht werden kann. Natürlich interessiert mich das. Wir singen ein Lied, machen meditative Gebären zu einem weiteren Lied und lassen uns auf eine Meditation ein. Ich melde mich zudem für das Handauflegen, das die Pfarrerin während meines Aufenthaltes nur 3 Patienten anbieten kann. Ich habe Glück und bin eine davon!
Abends bin ich so müde, dass ich einschlafe, ohne das Licht auszumachen. Davon wache ich dann mitten in der Nacht auf.
Donnerstag, 12.10.2023
Heute warten meine Mitpatientin und ich gemeinsam vor dem Arztzimmer. Ich wegen meinem Anliegen bzgl. der Physiotherapie und sie wegen ihres Infekts.
Ich bekomme meine Physiotherapie, obwohl der Arzt betont, es sei nur für die besonders schweren Fälle vorgesehen. Als würde man Schmerz messen können? Dazu verordnet er mir eine Wärmflasche und ein Schmerzgel.
Co-Depression
Die Gruppentherapie-Sitzung ist sehr spannend. Wir thematisieren das Zusammenleben als depressive Person mit einem ebenfalls depressiven Partner, der sich nicht helfen lassen will (Neben der Diagnose „Chronische Erschöpfung“ oder „Burnout“ kommen auch viele Patienten mit der Diagnose „Depressionen“). Ich kann nicht wirklich mitreden und bin dankbar, einen psychisch gesunden Mann an meiner Seite zu haben. Und dennoch werden Themen oder Sorgen angesprochen, die auch mich im Herzen berühren. So kann auch ich etwas für mich mitnehmen und reflektieren. Heute verabschieden sich ganze fünf Personen aus der Gruppe! Und somit quasi die Hälfte der Gruppe. Schon schade.
Genießen ist schwer
Das Bad mit Zusätzen ist angenehm. Aber da die Tür nicht abgeschlossen ist, verschränke ich die ganze Zeit die Arme über der Brust, in der Sorge, es könnte versehentlich jemand hereinkommen.
Also ist keine Entspannung zur Gänze möglich. Auch nicht wegen der Atmosphäre in diesem Kellerraum. Kahle Fliesen, Kabinencharakter, laute Nebengeräusche…
Im Zimmer lege ich mich im Bademantel für 20 Minuten ins Bett. Die ersten 10 Minuten liege ich so da und genieße den Moment. Ich fühle den Untergrund, die Decke und betrachte achtsam die Farben der Gardine. Dann fangen meine Gedanken wieder an zu kreisen. Vor allem zu meinem Papa! Dann greife ich zum Handy! Achtsam genießen fällt mir wirklich schwer!
Kopfschmerz-Alarm
Nach einer Dusche gehe ich mit nassen Haaren zum Mittagessen. Nach der Mahlzeit verspüre ich Kopfschmerzen. Also schnell Ätherische Öle anwenden und einen Spaziergang an der frischen Luft unternehmen. Es folgen QiGong und Körpertherapie. In beiden Kursen verbringe ich heute viel Zeit auf harten Hockern. Unsere Hausaufgabe: Uns etwas gönnen, was wir bisher nicht tun.
Ich komme mit zwei Mitpatienten ins Gespräch. Währenddessen geht es mir immer schlechter. Ein Powernap reicht diesmal nicht aus. Ich lasse das Abendessen ausfallen und mache mir später ein Brot auf meinem Zimmer. Ich hole mir einen Tee und mache mich dann bettfertig. Später schaue ich einen Film an – ein richtiger Comfortfilm. Dann schreibe ich noch mit meinen Liebsten und gehe ins Bett.
Die 1. Woche ist ein bisschen ausführlicher. Also fasse ich den Freitag und das Wochenende im nächsten Blog-Artikel zusammen. Ich freue mich, wenn du mich dabei weiter begleitest.
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